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Kurt August Paul Wolff (* 3. März 1887 in Bonn; † 21. Oktober 1963 in Ludwigsburg) war ein deutscher Verleger; Gründer des auf expressionistische Literatur spezialisierten Kurt Wolff Verlags, der von 1913 bis 1940 existierte.

Hans Christian Andersen (* 2. April 1805 in Odense; † 4. August 1875 in Kopenhagen) war ein dänischer  Schriftsteller.

Erich Kurt Mühsam (6. April 1878 in Berlin – 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg) war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Kurt August Paul Wolff (* 3. März 1887 in Bonn; † 21. Oktober 1963 in Ludwigsburg) war ein deutscher Verleger; Gründer des auf expressionistische Literatur spezialisierten Kurt Wolff Verlags, der von 1913 bis 1940 existierte.

#42 Brief an Kurt Wolff

Datierung 1919-09-14
Absendeort München, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 4 S., M

Provenienz YUL, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale Collection of German Literature, Kurt Wolff Archive (YCGL MSS 3), Box 7, Folder 292
Briefkopf -
Publikationsort D1: Kurt Wolff. Briefwechsel eines Verlegers. 1911–1963. Hrsg. v. Bernhard Zeller und Ellen Otten. Frankfurt/Main: Verlag Heinrich Scheffler 1966, S. 321f.
Personen Wolff, Kurt
Andersen, Hans Christian
Seidel, Fritz
Mühsam, Erich
Puttkamer, Annemarie von
Toller, Ernst
Wolff, Kurt
Institutionen Justizvollzugsanstalt München
Justizvollzugsanstalt Eichstätt
Zuchthaus Ebrach
Kurt Wolff Verlag
Chirurgische Klinik München

Sehr verehrter Herr Kurt Wolff,

ich liege in einem weißen Bett, schaue durch ein mit weiten Eisenmaschen überzogenes Fenster ins Grüne und lese Andersens Märchen, für die ich Ihnen sehr die Hand drücke. Desgleichen für die andern Bücher: vielen, vielen Dank. – Stille und sanfte Schwestern pflegen mich, und draußen den Mann mit Handgranaten an der Tür und die Schutzleute spüre ich kaum. – Ich wurde nämlich vor einer Woche operiert und diese „Abwechslung“ mit allen ihren Folgen ist nicht einmal unangenehm. – Ich war froh, daß ich Stadelheim verlassen konnte. Die Zeichen mehrten sich, daß ich alles andere als unter schützender Hand lebte. Jeden Tag erwartete ich eine vollkommenere Wiederholung des Attentats vom Juni. –

Und nun heute die Pressehetze anläßlich des qualvollen Seidelprozesses. Ein Angeklagter, den ich gar nicht kenne, behauptet einmal, ich wäre auch „dabei“ gewesen. Ich ersuche sofort den Vorsitzenden um eidliche Vernehmung. Dem Herrn scheint absichtlich nichts daran zu liegen, trotzdem ich ihn darauf aufmerksam machte, daß ich ein Recht habe, zu verlangen, vor der Öffentlichkeit darzulegen, daß ich keinen Schritt unterließ, der die Tat hätte verhindern können. – Vom Staatsanwalt höre ich, daß meine Nichtanwesenheit aufgrund der umfassenden Untersuchung erwiesen ist. – Aber die Presse! „Neuer Geiselmordprozeß, der Toller auf der Anklagebank sehen wird“, … „trägt volle Verantwortung“ u. s. w. Im Guten wie im Schlechten ist man diesen Schmierbuben preisgegeben, hilflos jeder Besudelung ausgesetzt.

Und der Seidelprozeß zeigte so deutlich, welche seelische Korruption mit durch die Presse hervorgerufen wurde. Die deutsche Schandpresse gehört endlich auf die Anklagebank, oder besser noch, man setze sofort das Urteil in die Praxis um.

In der Chirurgischen Klinik werde ich wohl noch 8–14 Tage bleiben, dann siedle ich in die Festung über. Wahrscheinlich komme ich nach Eichstätt. (Strecke München–Nürnberg)

Die schönen Tage von Ebrach sind nun vorüber, und auch Mühsam wird seinen Hochzeitsreden und Gesängen nachtrauern. –

Wann kommen Sie nach München? Wie geht es Annemarie Puttkamer? –

Ich bin heute noch richtig zudringlich. Bitte, wenn bei Ihnen ein bedeutungsvoller Band Verse (vielleicht im Neuen Tag?) und ein bedeutungsvolles Drama erschienen ist, senden Sie mir es bitte. –

Herzlich grüße ich Sie.

Stets Ihr Ihnen sehr ergebener

Ernst Toller

Chirurgische Klinik

Nußbaumstr. 14.9.19.