Weitere Briefe
1,665 Briefe gefunden

Hugo Sonnenschein, auch Hugo Sonka, (* 25. Mai 1889 in Gaya; † 20. Juli 1953 in Mírov) war ein deutschsprachiger mährischer Schriftsteller.

Jules Romains (bürgerlich Louis Henri Farigoule; * 26. August 1885 in La Chapuze, heute Saint-Julien-Chapteuil; † 14. August 1972 in Paris) war ein französischer Schriftsteller.

Benjamin Crémieux (* 1. Dezember 1888 in Narbonne; † 12. April 1944 im KZ Buchenwald) war ein französischer Schriftsteller jüdischer Herkunft. Er übte vor allem mit seinen literaturkritischen Arbeiten zur zeitgenössischen französischen und italienischen Literatur starken Einfluss aus. 

Herbert George Wells (meist abgekürzt H. G. Wells; * 21. September 1866 in Bromley; † 13. August 1946 in London) war ein englischer Schriftsteller, Historiker, Soziologe und Pionier der Science-Fiction-Literatur.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#1007 Brief an Wiener Allgemeine Zeitung

Datierung 1933-06-16
Absendeort Dubrovnik, Jugoslawien (heute: Dubrovnik, Kroatien)
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

T1: Brief, 4 S., T (Entwurf)

T2: Brief, 4 S., T

Provenienz T1: UT, Harry Ransom Center, Ernst Toller Papers
T2: DLA, Marbach, Bestand A:Toller, Zugangsnr. 62.20.21
Briefkopf -
Publikationsort Noch einmal Penklub-Kongreß: Ernst Toller kontra Sonka. Ein Brief des Dichters an die Wiener Allgemeine Zeitung. In: Wiener Allgemeine Zeitung, vom 21.6.1933.
Poststelle -
Personen Wiener Allgemeine Zeitung
Sonka, Hugo
Romains, Jules
Crémieux, Benjamin
Wells, Herbert George
Toller, Ernst
Institutionen Jugoslavenska Pošta (Sarajevo)
PEN-Club
Wiener Allgemeine Zeitung
Werke Rede auf dem Penklub-Kongress [in Ragusa]

Redaktion der Wiener Allgemeinen Zeitung

Wien.

Sehr geehrte Herren,

ich sandte an Sie heute folgendes Telegramm: „erfahre erst heute Sonkas Penclubaufsatz. Bericht über mein Verhalten völlig falsch. Empörende Entstellung. Brief unterwegs“

Den ganzen Aufsatz kenne ich leider auch jetzt noch nicht. Nur folgenden Passus: „da ereignet sich etwas Unerwartetes und, meinem Gefühl nach etwas Ungeheuerliches: Toller, statt diesen psychologisch wichtigen Augenblick der Tagung zum Vortrag seines mitgebrachten Materiales über die Verfolgungen der Dichter in Deutschland auszunutzen, begann sich in Loyalitätserklärungen gegen die deutsche Delegation zu ergehen. Auch er lege wert darauf, dass die ausgezeichnete Resolution zuerst abgestimmt werde.“

Diese Darstellung ist eine Verleumdung, für die Herr Sonka keine Entschuldigung beanspruchen kann, selbst nicht die verletzte Eitelkeit, die ich ihm in Ragusa vorwerfen musste.

In einem Interview, das am 8.6. in der Jugoslavenska Pošta erschien, habe ich folgendes gesagt:

„ich wusste, dass beim Penkongress Nationalsozialistische Delegierte erscheinen werden, die mitverantwortlich sind für die Verfolgung der deutschen Schriftsteller, deutscher Pazifisten, deutscher Arbeiter, deutscher Juden, mitverantwortlich für die Verbrennung literarischer Werke, für die Verjagung von Gelehrten und Künstlern. Sie sollten vor einem internationalen Forum sich für all die begangenen Taten verantworten. Zu meinem grossen Erstaunen stimmten sie einer Entschliessung zu, die ihre eigenen Taten verdammt, die Freiheit des literarischen und geistigen Schaffens fordert und alle Rassenverfolgungen verfehmt. Ich wollte den Widerspruch zwischen ihren Taten und Worten aufzeigen, den Widerspruch zwischen Phrase und Wirklichkeit.

Die deutschen Delegierten hatten – wie mir Romains und Cremieux sagten – sich bereit erklärt, mir Rede und Antwort zu stehen. Einzig aus diesem Grunde war ich damit einverstanden einen Tag später zu sprechen als Herr Wells vorschlug - darum bat mich nämlich Herr Romains. –

Die Deutschen hatten paradoxerweise mit den Franzosen verabredet, dass die Diskussion über die deutschen Zustände erst nach der Abstimmung über den Protest gegen Autodafé u.s.w. erfolgen sollte. Der formelle Streit war mir gleichgültig. Mir kam es auf das Sachliche an, die Wucht der Anklage, die Fülle des Materials, die ich dem Kongress vorlegen wollte, waren so schwerwiegend, dass die offiziellen deutschen Delegierten sie nicht mit konzilianten Worten aus der Welt schaffen konnten.

Der Präsident Wells hatte, was sein gutes Recht war, erklärt, dass die Abmachungen zwischen den Delegationen nicht das freie Recht der Diskussion aufgeben können. Die Deutschen verschanzten sich hinter ihrer Abmachung, beriefen sich auf die Geschäftsordnung und verliessen unter diesem nichtigen und formellen Vorwand den Saal.

Ja, sie waren Mimosen, diese offiziellen deutschen Delegierten! Als sie tausende von geistigen Arbeitern wegen ihrer Gesinnung verjagten, viele andere Tausende einsperrten und Millionen der Stimme beraubten, da kümmerten sie sich nicht um die „Geschäftsordnung“ der deutschen Verfassung.

Dieser Exodus glich einer Flucht, denn es war gegenüber der Schwere des Gegenstandes gleichgültig, ob sie sich an jenem oder erst am nächsten Tag verantworten.

Sie werden begreifen, dass ich nicht – wie manche österreichische Zeitungen geschrieben haben – Konflikte mit den deutschen Delegierten beilegen, sondern dass ich sie Auge in Auge stellen wollte.

Dieser Plan scheiterte an der Konfusion, die im Kongresse herrschte, an der Unentschlossenheit und Unsolidarität einzelner Schriftsteller.

Hundert Bauern, wenn sie zusammen sitzen und über ihre Interessen sprechen, wissen, worum es geht und keine Macht ist imstande sie vom Wesentlichen abzubringen. Schriftsteller, wenn sie in Haufen zusammen kommen, scheinen ihre Urteilskraft zu verlieren.

Anstatt Klarheit zu fordern, statt den verfolgten deutschen Geistesarbeitern beizustehen, erklärten sich einige Delegationen mit den deutschen Nationalsozialisten solidarisch und motivierten ihr Verhalten als Protest gegen den Vorsitzenden Wells, der doch mit vollem Rechte darauf hingewiesen hat, dass die deutschen offiziellen Delegierten den schärfsten theoretischen Verdammungen ihrer Taten zustimmten, aber sowie es sich um konkrete Tatbestände handelte, auswichen.

Es war die Pflicht aller Schriftsteller, gleichgültig, wo sie leben, den Kampf um diese Rechte zu ihrem zu machen. Viele von ihnen haben nicht verstanden, dass wenn sie aus formellen Gründen ihre eigene Entschliessung zu Fall bringen, sie den Feinden geistiger Freiheit die besten Hilfsdienste leisten.“

Was hat denn Herr Sonka auf dem Kongress getan? Er bekam ein Protesttelegramm deutscher und österreichischer Schriftsteller. Herr Wells war, wie er mir erzählte, bereit, dies Telegramm zu verlesen, was zweifellos nicht eindruckslos geblieben wäre. Herr Sonka bestand darauf, es persönlich zu lesen. Am letzten oder vorletzten Tage des Kongresses meldete er sich zum Wort. Der schottische Vorsitzende wollte ihm das Wort geben. Ohne die Worterteilung abzuwarten, begann Herr Sonka mit der Verlesung. Keiner der fremden Delegierten wusste, worum es sich handelte. Einige sagten mir sogar, sie glaubten, es handele sich um eine reaktionäre Störung. Nur darum schrien sie Herrn Sonka zu, er solle warten, bis man ihm das Wort gäbe, und so ging die Verlesung im Tumult unter. Andere Taten des Herrn Sonka sind mir nicht bekannt. Ich war der einzige der verfolgten Schriftsteller, der nach Ragusa gekommen ist. Ich habe in meiner Rede, die ich sofort hielt, als die nationalsozialistischen Delegierten erklärten, dass sie auf dem Kongress nicht mehr erschienen, gesagt:

„Nur einem glücklichen Geschick habe ich zu danken, dass ich hier stehe. In der Nacht nach dem Brand des deutschen Reichstages wollte man mich verhaften. Zufällig war ich in der Schweiz. Dieses Geschenk der Freiheit ist eine Verpflichtung gegen alle Kameraden, die in Deutschland in Gefängnissen leben!“

In Ragusa hat Herr Sonka mir keinerlei Vorwürfe gemacht. Er hat im Gegenteil am Tag nach der Rede mich herzlich begrüsst. Er wusste, was ich aufs Spiel setze, wenn ich spreche. Ich kann darüber aus begreiflichen Gründen nicht sprechen. Er wusste, dass meine Rede kompromisslos war, dass mich trotz allem nichts davon abhielt, meine Anklagen abzuschwächen.

Dieser „unerwartete“ Bericht des Herrn Sonka ist für mich etwas „Ungeheuerliches“. Verfolgungen der Feinde muss man mit Bedauern hinnehmen, Verleumdungen der „Freunde“ muss man bedauern und niedriger hängen.

Ich glaube, dass es ausser Herrn Sonka, keinen Menschen auf dem Kongress und keinen Leser der jugoslawischen Zeitungen gegeben hat, der fähig gewesen wäre, mein Verhalten auf dem Kongress zu missdeuten.

Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie diesen Brief im Wortlaut publizierten.

Ich wünsche Herrn Sonka, wenn er je in meine Lage kommen sollte, dass er gleich unbedingt sich bewähre!

Mit vorzüglicher Hochachtung